→ Intervention vor der Galatea-Anlage
© Design Research Lab
Die Galatea-Anlage, 1977 als eine Lösung für die bestehende Wohnungsnot in Wiesbaden gebaut, belegt den zweiten Platz beim Wettbewerb der hässlichsten Orte in Wiesbaden. Aber Aussehen ist nicht alles. Obwohl der Kontrast zum Rest des Stadtteils, mit dem Schloss, den Villen und den historischen Straßen, kaum zu übersehen ist, ist die Galatea-Anlage ein äußerst lebendiger Ort. Jeden Tag strömen hunderte Biebricherinnen und Biebricher durch die Passagen der Anlage. Hier siedeln sich Supermärkte, Cafés, Geschäfte, Ärzte-, Jugend- und Kinderzentren und ein Bürgersaal an.
Den Bürgersaal erreicht man durch das Eintreten in die Galatea-Anlage bzw. das Durchschreiten der Passage. Außerhalb der Anlage stehend ist der Bürgersaal nicht zu sehen und auch generell ist er aufgrund der dunklen Wände und Einbettung in die homogene Plattenbauarchitektur eher unauffällig. Alleinig das über dem Eingang platzierte Schild mit der Aufschrift „Bürgersaal“ und Biebricher Wappen weist auf seine Existenz hin. In den großen Fenstern des Erdgeschosses hängen Plakate (am Tag der Intervention u.a. von INTERPART), die den Blick nicht freigeben für Geschehnisse im Inneren, dafür aber für Veranstaltungen im Bürgersaal werben.
An einem grauen Novembertag nehmen wir uns der Aufgabe an, in dieses alltäglich-routinierte Treiben einzugreifen. Unsere Intervention beginnt auf dem Platz vor dem Bürgersaal, einem Hotspot für Fußgängerverkehr. Ein Weg aus neonfarbigem Klebeband weist in Richtung des Saals und rahmt dort die schwere, dunkle Tür, um diese in ein willkommenheißendes Durchgangstor zu verwandeln. Von dieser inszenierten Irritation versprechen wir uns Aufmerksamkeit für die Beteiligungsangebote, die an diesem Tag im Bürgersaal von Biebrich stattfinden und in denen wir Antworten auf die Frage suchen, inwiefern sich Bewohner*innen von Biebrich an Stadtentwicklungsprozessen beteiligen wollen und können. Was für Menschen begeben sich in den Bürgersaal? Wer fühlt sich hier angesprochen und wer nicht? Und was passiert, wenn wir die Umgebung und Fassade des Bürgersaals aufpeppen und seine Erscheinung damit ins Bühnenlicht rücken und thematisieren? Welche Ein- und Ausschlüsse werden dabei sichtbar?
Auf dem Boden des Platzes und an den Fenstern sollen Plakate Passant*innen über die Aktivitäten von INTERPART informieren und eine Erklärung für dieses Leitsystems ins Innere des Bürgersaals geben. Weitere Hinweise auf das außergewöhnliche Spektakel sind auf den Fenstern im zweiten Stockwerk des Bürgersaals zu finden. In großen, farbigen Lettern steht da ‘Workshop’ und ‘Erzählraum’.
Von der Eingangstür führt das Leitsystem in den Innenraum des Bürgersaals, wo quadratisch abgeklebte Felder auf dem Fußboden Besucher*innen bis in den Veranstaltungsraum im Obergeschoss bringen.
Im Erdgeschoss finden Besucher*innen links vom Eingangsbereich an Aufstellern befestigt Plakate, die der Abfrage zu stadtteilbezogenen Angelegenheiten dienen. Teilnehmende können die Fragen schriftlich auf den Plakaten beantworten. Rechts befindet sich ein Abfragesystem zu digitalen Beteiligungsformaten. Die Treppe rauf gelangt man ins Foyer des Obergeschosses. Dort fällt der Blick als erstes auf den Erzählraum, der mit außen angebrachten Schildern dazu einlädt, im Inneren Platz zu nehmen und an einer Erzählrunde teilzunehmen. Außerdem stehen hier ein Klavier, ein Buffettisch, Sitzgelegenheiten und ein Basteltisch für Kinder. Im Bürgersaal schließlich gibt es eine Bühne, die vermutlich sonst für Perfomances benutzt wird. Hier sind zwei Tische für den Workshop ‘Beteiligung wie ich sie mir wünsche’ platziert, ein weiterer steht auf der Zuschauerebene, um einen Barrierefreiheit Zugang zur Veranstaltung zu gewährleisten. Ein paar Stellwände verkleinern den Raum und sorgen so für eine intimere Atmosphäre.
↓ Plakate am Fenster
© Design Research Lab
↓ Bürgersaal
© Design Research Lab
→ Foyer
→ Workshopraum
© Design Research Lab
Bereits im Vorbereitungsprozess der Intervention, erwecken wir sichtlich die
Aufmerksamkeit von Passant*innen, die teilweise stehenbleiben und uns ansprechen. So tummelt sich eine Zeit lang eine Gruppe von Jugendlichen draußen um uns, sichtlich amüsiert davon, dass junge, hippe Akademiker*innen scheinbar extra in ihr Biebrich anreisen, um die Galetea-Anlage mit neonfarbigem Klebeband zu tapezieren.
Die Neugierde reicht allerdings nur für einen Moment vergnügter Verwunderung, bewegt sie aber nicht ins Innere des Bürgersaals: Vielmehr beschäftigt sie die Frage ob das Gruppenbild, das wir von ihnen schießen, auf Instagram erscheinen werde. Wann ist ein Ort Dein Ort? fragt das Plakat zur Veranstaltung. Der ihrige scheint es nicht zu sein. Einen ganz anderen Anschein erweckte die Gruppe Ü50-jähriger durchaus selbstbewusster Biebricher*innen, die uns am Vorabend bei der Begehung des Bürgersaals vergnügt und neugierig zu ihrer Halloween-Tanzveranstaltung einlud. Sie scheinen zu den aktiven Bürger*innen von Biebrich zu gehören die sicherlich noch anderes tun, als wie an diesem Abend Halloween zu feiern. Vorstellbar sind zum Beispiel Vereinstreffen im Bürgersaal, vielleicht ähnlich wie jene der Gruppe „Ideen für Biebrich“, die sich für ein sozia- les Miteinander entgegen einer “Parallelgesellschaftsbildung” in ihrem Stadtteil einsetzen. Anders als die Architekt*innen und Planer*innen von Ideen für Biebrich stellen wir uns hier aber vor, dass es den Halloween-Feiernden eher darum geht, Tanzveranstaltungen, Stammtische und Häkelkurse zu organisieren. Es besteht Grund für Zweifel daran, dass sich die Gruppe Jugendlicher sowohl zur Gruppe Ideen für Biebrich als auch zum Tanzverein zugehörig fühlt, was vielleicht entscheidend dafür ist, dass sie den Bürgersaal nicht betreten.
→ Vor dem Bürgersaal
© Design Research Lab
Statt also die Jugendlichen durch unser Leitsystem vom Platz ins Innere des Bürgersaals zu locken, lässt sich jemand anderes so leicht vom Hineingehen überzeugen, dass nicht klar ist, ob ihn unsere Installation oder seine Selbstgewissheit dazu gebracht hat. Fast macht er den Eindruck, als gehörte ihm der Bürgersaal, so wie er selbstbewusst hineingestapft kommt und sich ohne zu fragen zu uns an den Tisch setzt, wo wir gerade eine kleinere Besprechung abhalten. Ohne dass eine Redeaufforderung oder Frage notwendig gewesen wäre, berichtet er uns von den Problemen Biebrichs, in dem es von schlechten türkische Metzgern und bewaffneten albanischen und türkischen Kriminellen in Shisha-Bars nur so wimmle.
Unsere Eingriffe in den öffentlichen Raum haben Aufmerksamkeiten erregt, manche Menschen zum Hineingehen bewegt, andere vielleicht daran erinnert, dass sie dort nicht zugehörig sind. Die Intervention findet schließlich ihren Höhepunkt in der Platzierung unseres Workshops auf der Bühne des Bürgersaals. Die Menschen, die hier an dem Workshop teilnehmen, wurden allesamt vorab eingeladen, kaum jemand ist spontan vorbeigekommen. So entsteht der Eindruck, sie seien Protagonist*innen unserer Feldforschung und unsere Intervention sei das Theaterstück. Erwin Goffman schreibt “Wir spielen alle Theater” und weist damit auf die Performativität jeder zwischenmenschlichen Interaktion hin. In diesem Sinne lässt sich auch die ablehnende Reaktion der Jugendlichen auf unsere Einladung zur Veranstaltung und genauso das selbstbewusste Eintreten des Ü60-Jährigen als Performance verstehen. Sie alle spielen ihre Rollen als Bürger*innen von Biebrich mit unterschiedlichen Zuschreibungen und Zugehörigkeiten. Durch unsere Inszenierung auf der Bühne des Biebricher Bürgersaals konnten wir einen kleinen Einblick in ihre Rollenskripte bekommen. ■